(Der Artikel erschien zuerst im August 2014 auf meiner Webseite. Ich habe ihn leicht überarbeitet und um Zitate von David Foster Wallace und Zygmunt Bauman ergänzt)
Ich will gar nicht erst auf die andauernden Streitigkeiten (milde ausgedrückt) in den verschiedenen Social Media Bereichen eingehen. Die gegenseitigen Vorwürfe, egal ob von "Femtrollen" oder "Masku-Arschlöchern" gesprochen wird, oder "Spaßlose Körnerfresser" und "Tiermörder" sich an den Hals gehen oder ob sich Menschen beschimpfen, die bei einem internationalen Konflikt Partei für die eine oder andere Seite einnehmen - bei all diesen Vorfällen kam mir immer der Gedanke auf: Geht es nicht auch eine Empörungsstufe niedriger?
Es scheint so, als gäbe es, zumindest in Online-Medien, nur noch zwei Zustände. Latent angespannt oder Empörungslevel auf Anschlag. Dazwischen gibt es nichts mehr. Es mag mit dem Medium zu tun haben, dass man einem, so vor dem Bildschirm, jegliche Form von Empathie abhanden kommen lässt.
Wer länger in diesem Medium unterwegs ist, und selber schon mal den ein oder anderen Shitstorm am eigenen Leib erfahren hat, kennt es vermutlich. Die Wucht, mit der plötzlich der Hass auf einen einschlägt, ist enorm. Und sehr verstörend. Es scheint manchmal so, als habe die Person, die einem da eine Mail, Kommentar oder Tweet schreibt, nur darauf gewartet, dass man genau diese Formulierung, diesen Satz, diesen Wortfetzen benutzt, um einem dann endlich mal zu sagen, was eigentlich von ihm/ihr, dem Lebensstil, der Einstellung den Gedanken hält. Schmerzhaft ist es auch, weil man nicht damit rechnet.
Natürlich ist Wut etwas, dass man nicht verhindern kann. Ärger staut sich an, ebenso Frust über ganz andere Dinge. Es bildet sich eine Kette aus Frustrationen verschiedenen Ursprungs und irgendwann passiert eben diese Kleinigkeit, die das Fass zum überlaufen bringt und man explodiert. Dann lässt man es halt an jemanden aus, der nichts dafür kann. Ist uns allen schon mal passiert.
Aber im richtigen Leben sieht man das Gesicht er Person, die man da unfair angeht. Man sieht den Moment des Erschreckens, der Verwirrung und der Verletzung. Und wenn es einem auch im in dem Moment völlig egal ist, es brennt sich doch das Gefühl ein, dass man einen Fehler begangen hat. Manche Menschen können sich dann entschuldigen, manche nicht. Aber auch jene, die sich nicht entschuldigen wissen, dass sie über das Ziel hinaus geschossen sind, dass bei einem anderen Menschen zu weit gegangen sind.
Online scheint diese menschliche Eigenschaft völlig zu fehlen. Selten liest man nach einer lautstarken Auseinandersetzung, dass der eine oder andere zu weit gegangen sei, dass es ihm leid tut. Was auch daran liegt, dass viele anonym unterwegs sind, weil sie einfach verletzen wollen. Eine Art Sadismus, bei dem man seine eigenen erlittenen Verletzungen vermeintlich abbauen kann.
Es ist nur allzu bekannt, dass sich das Online-Medium für gepflegte Auseinandersetzungen nur so mittel eignet. Was der eine nett ironisch meint, kommt beim anderen als schlimmste aller Beleidigungen an. Der innere Flammenwerfer wird aktiviert - und damit ist jegliche Diskussion beendet. Es ist dabei egal, ob man schreibt "Vielleicht hat Israel ja auch ein bisschen Mitschuld an dem Schlamassel" oder "Nicht jeder Mann, der mal einen Witz über Frauen macht, ist ein unkontrollierbarer Triebtäter" oder "Print ist Online halt doch überlegen". Die Reaktion ist, wenn man das richtige Wespennest erwischt hat: Empörung und sofortige Absage an jedwede Kommunikation.
Es gibt selbstverständlich Momente, bei denen die Einstellung der Kommunikation richtig ist. Ich diskutiere nicht darüber, ob Ausschwitz existiert hat, um mal ein Beispiel zu nennen. Mir scheint aber, dass die Kriterien für die Einstellung immer kleiner werden. Ein müder Witz und zack - gesperrt. Warum soll man sich auch Internet mit Dingen auseinandersetzen, die einen a) nicht interessieren oder b) aufregen?
Das Problem dabei ist nur, dass man dabei Gefahr läuft sich nur noch in Filterblasen zu bewegen, die der eigenen Meinung entsprechen. In der es keine Widerworte mehr gibt, höchstens das gemeinsame Aufregen über eine Person, die irgendwas gesagt/behauptet hat und die man nun sperren/blocken löschen kann. Um sich danach darüber aufzuregen und zu fordern, dass "solche" Leute ja eigentlich wegen "so einer Meinung" ins Gefängnis gehören. Oder nach Sansibar. Und die Online-Medien helfen dabei die Filterblase aufrecht zu erhalten. Wenn ich Facebook einen Post einer Person mit einer mir passenden Meinung/Aussage like, bekomme mehr von dieser Person angezeigt. Die Chance, dass jemand, den ich oft like, etwas schreibt, mit dem ich nicht einverstanden bin, sinkt dementsprechend.
Taucht dann in meiner Timeline etwas auf, was meinen Überzeugungen, Meinungen oder Gedanken nicht entspricht, rege ich mich a) darüber auf und b) empfinde ich die Meinung als abseitig und gehe mit gewaltvoller verbaler Empörung dagegen vor. Dann gibt es auch keine Zwischentöne mehr, sondern nur die komplette Breitseite, bestehend aus Attacken, Sperrung und Beschimpfung. Zygmut Bauman schrieb in seinem Buch "Retrotopia"
"Debatten in Glaubensfragen zielen nicht auf Konsens, sondern darauf, die Gegenseite als unheilbar taub und blind für die »Tatsachen« und von bösartigen Absichten getrieben hinzustellen. Die Zuschreibung übler Absichten macht den Beweis der eigenen Aufrichtigkeit überflüssig."
Dabei kann man tatsächlich etwas lernen, wenn man auch mal Sachen und Meinungen liest, die nicht dem eigenen Überzeugungen entsprechen. Was im übrigen ein großer Vorteil von Zeitungen ist, zumindest von jenen, die das Wort "Meinungsvielfalt" auch noch genau so verstehen. Der leider verstorbene Frank Schirrmacher war so einer, der die Diversität von Meinungen, und zwar einer eigenen, durchdachten Meinung, immer wieder unter Beweis gestellt hat. Mal monierte er die Gefahren der Schwarmintelligenz, mal postulierte er, dass das Netz das einzige ist, was die Postdemokratie in ihre Schranken weist. Die Empörungswellen schwappten dann eben mal auf der einen, mal auf der anderen Seite hoch.
Es ist unbequem, wenn man etwas liest, was einem gegen den Strich geht. Ich habe nicht wenige Zeit damit verbracht wutschnaubend einen Artikel zu lesen um danach zum Schreibtisch zu stapfen um eine Replik in mein Blog zu schreiben. Was mir dabei aber immer wieder auffiel: Im Prozess des Schreibens setzte eben auch die Reflektion ein. Manchmal verstand ich plötzlich besser viel besser, aus welcher Position ein Text geschrieben wurde, manchmal erkannte ich die zwischen den Zeilen verborgenen Intentionen. Und selbst wenn ich damit immer noch einverstanden war, so setze dann zumindest der Prozess des Verstehens ein. Nicht des Akzeptieren, aber des Verstehen dessen, was der oder die Autor/in aus ihrer Überzeugung da schreibt. Und damit entstand dann auch oft (nicht immer) ein gewisse Sanftheit, weil ich zumindest oft (nicht immer) die Welt, die hinter dem Text stand, ein wenig besser verstanden habe. Was dann folgte, was nicht mehr die Empörung, der ich in Versalien Ausdruck geben wollte, sondern die fragende, manchmal auch mahnende Auseinandersetzung mit einer anderen Meinung, einem anderen Gedanken. Und sehr gute Erfahrungen habe ich damit gemacht, so einen Text dann mal einen Tag liegen zu lassen, statt ihn wutschnaubend online zu stellen. Aber das nur nebenbei.
Nicht schreien, nicht an den Pranger stellen, nicht rufen "Du Idiot". Sondern sich selbst mal zurück nehmen, die eigenen, vermeintlich so klugen und über allem schwebenden Argumente für sich behalten. Das eigene Ego mal einbremsen und vielleicht die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass es für Meinungen viele Gründe geben kann, die man nicht kennt. Dieses Ausblenden des eigenen Egos hat David Foster Wallace in einem Vortrag mal schön zusammen gefasst.
"The thing is that, of course, there are totally different ways to think about these kinds of situations. In this traffic, all these vehicles stopped and idling in my way, it’s not impossible that some of these people in SUV’s have been in horrible auto accidents in the past, and now find driving so terrifying that their therapist has all but ordered them to get a huge, heavy SUV so they can feel safe enough to drive. Or that the Hummer that just cut me off is maybe being driven by a father whose little child is hurt or sick in the seat next to him, and he’s trying to get this kid to the hospital, and he’s in a bigger, more legitimate hurry than I am: it is actually I who am in HIS way."
Kommunikation dieser Tage scheint aber oft nur noch auf den Konfliktfall herauszulaufen. Eben noch ein Katzenfoto gepostet, dann einen dümmlichen Tweet gelesen - zack - Empörungslevel auf Anschlag. "Sie lesen von meinem Anwalt, aber vorher aktiviere ich noch meine Filterblase, die jetzt wie ein Berserker über sie herfällt. Danke für nichts. Arschloch." Vielleicht liegt es daran, dass man nicht mehr zwischen den Zeilen lesen kann, sondern nur noch die Buchstaben betrachtet. Und man dem Schreiber sofort die schlimmsten aller denkbaren Absichten unterstellt, die dann nur noch eine Reaktion Marke "Stalinorgel" als einzig mögliche Konsequenz erscheinen lässt.
Mich stört diese zunehmende Aggressivität immer mehr. Ironischerweise merke ich selber, dass mein Empörungslevel in Richtung Bluthochdruck anschwillt, wenn ich merke, dass bei anderen wegen irgendwelcher Nichtigkeiten das Empörungslevel auf "Atomkrieg" ausschlägt. Und deswegen habe ich beschlossen, mich aus derartigen Diskussionen komplett heraus zu halten. Vor allem auf Twitter.
Ich würde mir nur wünschen, dass man merkt, dass man gerade auf Twitter immer nur winzige Ausschnitte aus einem Leben, aus der Gedankenwelt und dem Gefühlen eines Menschen sehen kann. Und das man sich auch einfach mal fragt, ob das, was da steht, auch so gemeint war. Ob der eigene Ironie-Detektor vielleicht falsch kalibriert ist. Oder man einen schlechten Tag hat. Oder vielleicht der andere. Und ebenso sollte man überlegen, ob die Formulierung oder Witz vielleicht auch mal schief angekommen kann. Und das man sich keinen Zacken aus der Krone bricht, wenn man sagt "Sorry". Oder tief durchatmet und ein Katzenfoto postet.
Bild: Library of Congress, Prints and Photographs Division, Alfred Bendiner Memorial Collection, [reproduction number, e.g., LC-DIG-ppmsca-27849]